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Neue Männer braucht das Land?

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Ein Plädoyer für ein gesundes Männerbild

Nein, wir brauchen keine „neuen Männer.“ Die Welt braucht vor allem Männer, die sich selbst die Erlaubnis geben, entspannt, liebevoll und voller Lebensfreude zu sein. Männer, die sich selbst und ihre eigenen Grenzen sowie die Grenzen anderer respektieren. Nach dem Abschluss des dritten Teils unseres Männertrainings möchte ich ein Plädoyer für ein gesundes, umfassendes Männerbild halten.

Hartwin

Männlichkeit – Zwischen Klischees und echter Stärke

In der heutigen Medienlandschaft begegnen uns immer wieder reißerische Schlagzeilen wie „Werde ein echter Mann!“ oder „Entdecke deine Männlichkeit!“ Solche Botschaften vermitteln den Eindruck, dass es feste Maßstäbe für Männlichkeit gibt, die sich durch Training oder Coaching erlernen lassen. Doch was bedeutet „Männlichkeit“ tatsächlich? Ist sie gleichzusetzen mit Härte, Durchsetzungsvermögen oder gar Aggressivität? Bedeutet es, in einer dominanten Rolle zu verharren, als „großer Beschützer“ und erfolgreicher (Ver)Führer gegenüber Frauen zu agieren und unter Männern das Alpha-Männchen zu sein?

Was hat uns diese Vorstellung von Männlichkeit, die oft als genetisch bedingt dargestellt wird, bisher gebracht? Die gesellschaftlichen Auswirkungen von Gewaltbereitschaft und aus Unsicherheit geborenen Dominanzbedürfnissen gegenüber Frauen und anderen Männern sprechen eine klare Sprache. Die Frage drängt sich auf: Ist das wirklich, was Männlichkeit ausmacht? Oder ist es an der Zeit, ein neues Verständnis von männlicher Stärke zu entwickeln, das auf inneren Qualitäten basiert?

Die Unsicherheit vieler Männer heute

Viele Männer stehen heute an einem Wendepunkt. Sie sind oft verunsichert, was von ihnen erwartet wird, und zögern, ihre Stärke zu zeigen. Sie befürchten, durch Offenheit und Emotionen „zu weich“ zu wirken oder in Gesprächen mit Frauen das „Falsche“ zu sagen. Diese Unsicherheit führt dazu, dass viele Männer ihre Gedanken und Gefühle zurückhalten – und oft nicht wissen, wie sie authentisch zu sich selbst stehen können, ohne an ein festgelegtes Ideal von „echter Männlichkeit“ gebunden zu sein.

Die Folgen spüren wir besonders deutlich in der Sexualität

Fragen wie: Bin ich, so wie ich bin, willkommen? Bin ich zu forsch oder zu vorsichtig? Darf ich sie fragen, was sie möchte, oder muss ich ihre Wünsche von den Augen ablesen? beschäftigen viele Männer. In entscheidenden Momenten, etwa wenn mich meine Partnerin beim dritten Date bittet, ihren BH zu öffnen, kann es vor lauter Aufregung geschehen, dass meine Erektion einfach verschwindet. Wenn ich in solchen Situationen kein gesundes Selbstbewusstsein und nicht die Fähigkeit habe, offen über meine Gefühle zu sprechen, wird es schwierig. Wenn ich Glück habe, ist meine Partnerin empathisch genug, um diese Unsicherheit liebevoll zu überbrücken. Doch vielleicht hat auch sie ein tradiertes Männerbild im Kopf, das unsere Kommunikation zusätzlich erschwert?

Männlichkeit neu definieren – Ein ehrlicher Blick nach innen

Im ersten Teil unseres Männerseminars stelle ich gerne die Frage: Was bedeutet Männlichkeit für dich? Wann fühlst du dich als Mann? Diese Fragen lösen oft einen intensiven, facettenreichen Austausch aus. Die Männer reflektieren ihre eigenen Vorstellungen und entwickeln differenzierte Gedanken darüber, was für sie männlich, weiblich und letztlich menschlich ist.

Sätze wie „Sei ein richtiger Mann!“ greifen viel zu kurz. Wer bestimmt überhaupt, was einen „echten“ Mann ausmacht? Können wir unsere Männlichkeit wirklich nach äußeren Maßstäben definieren? Oder laufen wir Gefahr, einem Bild zu entsprechen, das wir nie hinterfragt haben – einem Bild, das vielleicht aus den posttraumatischen Belastungen unserer eigenen Väter, Großväter und Urgroßväter stammt, die ihre Kriegserlebnisse nicht verarbeiten konnten?

Eine neue Begegnung auf Augenhöhe

Was wäre, wenn wir als Männer „manns genug“ wären, Frauen auf Augenhöhe zu begegnen? Wenn wir den Mut hätten, mit all unseren Anteilen – sowohl den „männlichen“ als auch den „weiblichen“ – in Harmonie zu leben und uns in unserem Körper wohlzufühlen? Die Tage mit den Männern in unserem Seminar haben mir wieder einmal gezeigt, wie wertvoll es ist, in einem geschützten Raum zusammenzukommen, der frei von Rollenerwartungen ist. Hier können wir einander so sein lassen, wie wir wirklich sind. Es geht nicht darum, Meinungen zu diskutieren, sondern darum, wahre eigene Gefühle zuzulassen und den Mut und die Stärke zu finden, als Männer zugleich liebevoll, lustvoll und empfindsam zu sein.

Lustvolles, entspanntes Mannsein als Grundlage für Frieden und Zufriedenheit

Männer, die sich selbst vertrauen und keine Beweise für ihre Männlichkeit erbringen müssen, tun der Gesellschaft gut. Sie können sich berühren lassen, ohne sich für ihre Gefühle zu schämen. Sie finden ihre Stärke nicht in Dominanz, sondern in der Fähigkeit, liebevoll und menschlich zu sein. Das ist die Art von Männlichkeit, die heute gebraucht wird – eine Männlichkeit, die Raum für Frieden und Zufriedenheit schafft.

Männer und Gefühle – Eine alte indigene Weisheit

Ein Krieger sollte einen Konflikt Mann gegen Mann austragen und hatte die Wahl, gegen wen er kämpfen wollte. Er entschied sich für einen großen, muskulösen Gegner, den noch niemand jemals weinen sah. Auf die Frage, warum er diesen Mann gewählt habe, antwortete er: „Ein Mann, der nicht weinen kann, ist schwach, er fürchtet seine eigenen Gefühle.“

(Überlieferung, oft den Lakota zugeschrieben.)

Liebe Grüße
Hartwin

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